28.04.2024

Edle Tropfen für Genießer – so poetisch ist die Werbung für Wein. Kenner geraten leicht ins Schwärmen. Dieser Wein verwöhnt ihren Gaumen. Feinschmecker können edle Rebsäfte von billigem Gesöff unterscheiden: rein, temperamentvoll, ausdrucksvoll, würzig, charakterstark. Das Leben muss wie ein Glas köstlicher Wein genossen werden: Schluck für Schluck, mit gehörigen Unterbrechungen. Wenn wir ihn wie Wasser hinunterschütten, verliert auch der beste Wein seinen Reiz.

Dazu ein aktueller Kontrast aus der Welt des modernen Sports: Letzte Woche war der Formel-1-Rennzirkus noch in China, ab Mai zieht er dann in Europa weiter, Sonntag für Sonntag. Mitentscheidend werden wieder die Pit-Stopps sein. Tausende Male üben die Teams jeden winzigen Handgriff. Alles muss in Sekundenschnelle passieren. Der Rennwagen rast in die Boxengasse und wird aufgebockt. Der Deckel wird abgerissen. Der zentnerschwere Tankstutzen wird auf die Öffnung gerammt. Durch den Stutzen schießt Benzin unter hohem Druck, mit der lebensgefährlichen Geschwindigkeit von 12 Litern pro Sekunde. Nach 7 Sekunden ist der Wagen, wenn alles gut geht, voll betankt und mit neuen Reifen wieder auf der Piste.

Das blitzschnelle Auftanken des Rennautos ist das genaue Gegenbild zum Weinstock: hier ein Reinpressen unter höchstmöglichem Druck, um so schnell wie möglich weiterzurasen im ewigen Zirkusrund des Lebens und die Konkurrenten zu überholen, dort ein lebenslanges sich-Einwurzeln, immer in-Verbindung-Bleiben, die Lebenssäfte Tropfen um Tropfen in einem langen Reifungsprozess aus der dauernden Verbundenheit mit dem Wurzelstamm in sich zirkulieren lassen.

Viele von uns haben ein anstrengendes Leben. Der Alltag verlangt uns viel ab an Konzentration und Engagement. Täglich sehen wir uns mit Erwartungen konfrontiert. Wir sind gefordert im Beruf, in der Schule, im Haushalt, im Verkehr, in der Öffentlichkeit, in der Gemeinde. Um das stressige Leben von heute zu bewältigen, brauchen wir Phasen des Ausruhens und der Regeneration. Sonntag, Gebet, Gottesdienst, Meditation, Bibellesung sind zum Auftanken da. Wir wollen neue Kraft schöpfen. Wir suchen die Verbindung mit Gott und finden darin den Ursprung von allem. Wir spüren unsere innere Leere und suchen Kontakt mit ihm, der die Fülle ist. Gerne wird dafür das Bild von der Tankstelle verwendet: Tempo rausnehmen, rechts ranfahren, anhalten, Motor aus, Energiestoffe aufnehmen, weiterfahren. Klöster und Exerzitienhäuser nennen sich geistliche Tankstellen und bieten Kurse und Einkehrtage zum spirituellen Auftanken an. Man suggeriert uns, dass der Urlaub dazu dient, aufzutanken, um dann wieder umso mehr berufliche Leistung zu bringen. Schlimm, wenn Ferien und geistliches Leben in der Leistungsgesellschaft so verzweckt werden. Wie wohltuend anders ist da die Bilderwelt Jesu!

In der Bibel gibt es eine „hortensische Theologie“. Im Weinstockgleichnis ist Gott als Bauer (georgos), nicht als Winzer (ampelourgos) bezeichnet. Gott pflanzt und pflegt, erntet und drischt, lässt blühen und reifen. Quasi ökologische Gedanken drängen sich auf: behutsam und pfleglich mit dem organischen Leben umgehen. Nachhaltigkeit ist das Grundprinzip der UNO-Entwicklungsziele und genauso das Anliegen von Papst Franziskus in Laudato si‘ und Laudate Deum.

Die Rebzweige brauchen den Weinstock, damit sie lebendig bleiben. Aber umgekehrt braucht auch der Weinstock die Rebzweige, damit er Frucht bringen kann. Jesus sagt zu seinem Jünger: Ich brauche dich. Ich bin auf dich angewiesen. Durch dich will ich in der Welt reiche Frucht bringen. Ohne dich geht es nicht. Ich traue es dir zu.

„Hortensische Theologie“ warnt uns vor dem Gewalttätigen der Technik. Bilder wie der Weinstock bewahren uns vor dem Machbarkeitswahn, der in Gesellschaft und Kirche um sich greift. Sie drücken den Primat der Gnade aus und spitzen ihn christologisch zu: „Ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Hier ist die Sprache Jesu schneidend klar: Ohne mich – nichts, mit mir – alles. Nicht: mit mir effektiver, einfacher, schneller, mehr. Sondern: ohne mich einfach gar nichts. Also heißt die wichtigste Frage: Wie pflege ich meine Verbundenheit mit Christus? Fruchtbarkeit kann auch im Misserfolg sein. Viele Menschen arbeiten sich kaputt, aber sie haben das Gefühl: Es kommt nichts dabei heraus. Meine Arbeit bleibt unfruchtbar. Das Leben kommt nicht zum Blühen. Der Grund dafür kann die schlechte Wurzel sein: Was aus dem Ego kommt, bleibt steril. Frucht bringt unsere Arbeit nur, wenn sie durchlässig ist für die Liebe Jesu. Allein aus der Verbindung mit dem Weinstock Christus empfange ich Kraft und Fruchtbarkeit. Ihr seid die Rebzweige, die Fruchtträger. An euch wird sichtbar, was der Weinstock hervortreibt, was in dem unscheinbaren Rebholz alles drinsteckt. An den Jüngern wird deutlich, wer Jesus und wie Jesus ist.

Der Weinstock als Bild des Christseins bedeutet: Im Leben des Christen wächst etwas. Was da wächst, ist eine köstliche Frucht. So ist unser Leben gemeint: als Prozess, in dem wir reifen. Dabei kommt etwas Kostbares heraus. Dazu brauchen wir den Lebenszusammenhang, den Jesus „Bleiben der Rebzweige im Weinstock“ nennt. Wir sollen Geschmack in die Welt bringen, Geschmack am Leben, Geschmack an Gott. Viele Menschen sind heute entwurzelt. Auch bei uns verlieren viele den Kontakt zu den guten Wurzeln der Familie und der Heimat, den Wurzeln des Glaubens und der Liebe, den Wurzeln der religiösen Beheimatung in der Kirche. Entwurzelte Menschen werden ruhelos. Sie irren heimatlos umher und fühlen sich nirgends mehr zu hause. Lassen wir uns nicht abspeisen mit billigem Kram! Lassen wir uns nicht vollstopfen mit dem, was nicht wirklich nährt!

Das Bildwort vom Weinstock bezieht sich auf Christus und auf die Kirche. Es hat eine christologische und eine ekklesiologische Stoßrichtung. Weinstock und Rebzweige sind eine quasi symbiotische Einheit wie Haupt und Leib, wie Braut und Bräutigam, wie Tempel und göttlicher Bewohner. Die beiden Elemente sind nicht gleichrangig. Die Rebzweige sind vom Weinstock abhängig. Trotzdem gibt es ein gegenseitiges ineinander-Bleiben: ihr in mir, ich in euch. Kirche entsteht nicht „von oben herab“, sondern sie wächst von unten. Unter den Rebzweigen an einem Weinstock gibt es keine Hierarchie. Jede einzelne Rebe hat nur das eine und selbe Ziel wie jede beliebige andere: Frucht bringen.

• Die Jünger Jesu sind Rebzweige am Weinstock. Sie sind keine heroischen Einzelkämpfer. Die Verbundenheit am selben Weinstock schweißt uns zusammen zur Gemeinschaft. Ohne diese Verbundenheit wäre ich schnell ausgelaugt.

• Wer in mir bleibt, der bringt reiche Frucht. Keine Gemeinschaft mit Jesus bleibt auf die Dauer fruchtlos. Wer zu Jesus hält, bei dem werden die Folgen irgendwann spürbar. Wenn unsere Kirche so steril wirkt und so wenige an ihr die guten Früchte wahrnehmen, sagt das nichts Gutes über die Qualität ihrer Verbundenheit mit Christus.

Welche Früchte erwartet Jesus? Das Bild vom Weinstock lässt es wohlweislich offen. Früchte können sehr verschieden sein. Jeder bringt seine eigenen Früchte hervor. Das Reich Gottes ist groß, und seine Früchte sind vielfältig, ein bunter Erntekorb an Früchten wie auf dem Wochenmarkt. Man hat seine helle Freude an den verschiedenen Formen und Farben, Größen und Geschmäckern.

Fruchtbarkeit ist etwas anderes als Erfolg. Der Auftrag, Frucht zu bringen, unterliegt keinem Leistungsdruck. Es gibt keine Buchhaltung über gute Taten und fromme Worte. Fruchtbarkeit ist auch weit entfernt von falscher Demut. Ich darf mich an den guten Früchten freuen. Sie geben dem Leben einen guten Geschmack. Ich darf stolz sein auf das, was aus der Verbundenheit mit Christus gut gelingt. Es bringt das Beste aus mir heraus.

Das Gleichnis stellt uns vor die Wahl: Wer in mir bleibt, bringt reiche Frucht. Wer nicht in mir bleibt, wird abgeschnitten und ins Feuer geworden. Manchmal fühlen wir uns wie die Trauben, die in der Kelter bis auf den letzten Tropfen ausgepresst werden. Aber es geht nicht darum, restlos alles aus uns herauszuholen. Geduld und Leid gehören zur Fruchtbarkeit dazu. Mit Christus mystisch verbunden, werden wir in der Kelter des Lebens zu reifem Wein. Das Schwere und Bedrückende verwandelt Gott in Liebe. Wichtig ist allein, dass wir am Weinstock bleiben. Darum ist die Kirche als Ort dieses Bleibens bei Christus das schönste Ostergeschenk Gottes an uns. Der Lebenssaft, der aus dem Weinstock Christus in die Rebzweige Christen einfließt, ist schon ein Vorausbild des Heiligen Geistes, den der Auferstandene an Pfingsten auf die Seinen herabsendet.

Johannes Bündgens