Sonntagsgedanken


12.05.2024

Die Welt hat sie gehasst, weil sie eben nicht von der Welt sind

Die christlichen Gemeinden, für die der Evangelist Johannes schreibt, erlebten den Hass ihrer Umwelt. Sie wurden von ihren jüdischen Glaubensgeschwistern ausgeschlossen, weggejagt oder tätlich angegriffen. Der Bruch ging selbst durch Familien und Freundschaften. Wie aber kam es dazu? Was brachte andere Gläubige dazu, Christen zu hassen? Die Zusammenhänge sind komplex, aber eines steht fest: Die Botschaft von der Gegenwart des grenzenlos liebenden Gottes und seiner Barmherzigkeit in Christus als dem erwarteten Messias war einer der Konfliktpunkte. Dazu kamen neue religiöse Werte und ein veränderter Lebensstil. Darin lag der Grundkonflikt zwischen dem aufstrebenden Christentum und dem Judentum, das sich nach der Katastrophe des jüdischen Krieges wieder konsolidierte. Das Evangelium wollte und will eine frohe Botschaft sein. Eine, die Räume eröffnet, Freiheit und Menschenwürde ermöglicht. Aber durch Hass werden Türen zugeschlagen.

Hass als Triebkraft

Hass ist eine große Triebkraft. Wer ein hehres Ziel verfolgt und Missstände beseitigen will, holt sich seine Motivation und Energie nicht zuletzt aus dem Hass auf das Bestehende. Hass ist immer der perfekte Motor für politische oder ideologische Aktionen, besonders auch religiöser Art. Wer sich schnell durchsetzen will, hat dazu die besten Chancen, wenn er in den Menschen Hass züchtet, die seinen Plänen Rückhalt geben sollen. Hassprediger können Massen in Bewegung setzen. Wir kennen das auch aus unserer eigenen deutschen Geschichte. Propagandistisch geschürter Hass kann Kriege entfesseln oder in Gang halten. Ideologische Denker dieser Art lehnen die vorgefundene Wirklichkeit in Gänze ab. Zwischentöne, Übergänge und Nuancen werden ausgeblendet. Es gibt nur eine Schwarz-Weiß-Sicht. Nur ein totaler Bruch könne das Gegebene beseitigen. Im Wunsch nach radikaler Veränderung hat die Achtung vor den Menschen keinen Platz. Menschlichkeit gibt es bestenfalls erst dann wieder, wenn das Gute gleichsam herbeigemordet oder herbeigebombt sein wird. „Liebe ist zwar die wichtigste positive Energie der Welt.“, sagt Eli Amir, der Ex-Berater von Schimon Peres und Itzhak Rabin. Aber der Hass sei viel mächtiger. „Es ist einfacher, jemanden zu hassen als zu lieben.“ Hass verbünde die Menschen und helfe ihnen, sich selbst zu stärken.

Hass in der „Welt“

Inzwischen erreicht eine bedrohliche Welle aus Intoleranz und hassbasierter Gewalt Gläubige vieler Religionen rund um den Globus. Juden wurden in Synagogen umgebracht und ihre Grabsteine mit Hakenkreuzen beschmiert. Muslime wurden in Moscheen erschossen, ihre religiösen Stätten verwüstet. Christen wurden beim Gebet getötet und ihre Kirchen angezündet. Zielscheiben sind Minderheiten, Migranten, Flüchtlinge, Frauen und alle sogenannten anderen. Während der Flächenbrand des Hasses sich ausbreitet, wird in den sozialen Medien der Fanatismus geschürt. Bedenken wir: In den vergangenen Jahrzehnten war Hassrede oft die Vorstufe grausamer Verbrechen, inklusive Völkermord.

Dem Hass standhalten und sich nicht anstecken lassen

Hassgeschürte Anfeindungen erleben auch Christen, die sich hierzulande mit ihren Werten einmischen in diese Welt. Sie tun es, weil es ihnen eben nicht egal ist, wie unsere Demokratie durch extremistische Gruppierungen oder Parteien bedroht wird. Weil sie sich für den Schutz von Minderheiten einsetzen. Weil sie nicht Beifall klatschend in die vereinfachenden Parolen von rechten Volksverhetzern einstimmen, sondern differenzieren, abwägen, argumentieren. Weil sie sich engagieren für Umwelt und Klimaschutz. Weil sie gegen Gewalt an Frauen und Kindern ihre Stimme erheben. Weil sie auch in der Kirche den Missbrauch von Sexualität und Macht durch Kleriker nicht bagatellisieren; nicht einverstanden sind mit der Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Paaren, von wiederverheiratet Geschiedenen oder von Frauen im Blick auf kirchliche Positionen. Weil sie mit auf die Straße gehen und gegen Rechtsextremismus protestieren, wie es die Hunderttausenden im Januar dieses Jahres getan haben. Wer den Finger in die Wunde legt, braucht nicht auf Beifall zu hoffen. Insbesondere nicht von katholisch-konservativ-reaktionären Gruppierungen.

Und manchmal müssen Sie sich schütteln, Luft holen und sich fragen, ob Sie denn noch im richtigen Film sind. Sie werden vielleicht verunsichert oder irritiert darüber sein, ob Sie denn überhaupt etwas verändern können. Und ob es das noch bringt, weiter am Glauben dranzubleiben, an der Gemeinde festzuhalten oder doch aus der Kirche auszutreten. Und es gibt die Gefährdung, klein beizugeben und sich auf das Private zurückzuziehen, weil man doch nichts erreichen kann. Eines gilt auf jeden Fall: Wer sich auf den Hass einlässt oder sich durch ihn entmutigen lässt, hat schon verloren. „Just say no.“ Diese Devise gegen Drogen war damals richtig, sie ist es auch heute im Blick auf den Hass.

Genau an solche Menschen richtet Johannes sein Evangelium

Der Trost des heutigen Evangeliums liegt darin, dass Jesus sich vom Hass der Welt nicht überwinden lässt. Er hält den Anfeindungen stand. Er gibt nicht nach. Er bleibt wie ein Fremder in seiner damaligen Welt. Damit die Welt menschlich werden kann. Christen, die Jesus nachfolgten, sind oft zu solchen Fremden in der Welt geworden. Sie sind nicht im Mainstream mitgeschwommen. Sie haben dem Hass standgehalten, sie haben sich nicht der Welt und ihren Regeln angepasst. Und sie wurden damit zum Zeichen für Gottes Liebe in der Welt. Darin liegt eine große Ermutigung für uns.

„Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst,
sondern vor dem Bösen bewahrst.“

Jesus bittet nicht darum, dass die Christen aus dieser Welt herausgenommen werden; dass sie gleichsam abgeschottet wie in einer frommen, lauwarmen Blase leben. Das wäre eine Sakristeifrömmigkeit nach dem Motto: beten und die Hände in den Schoß legen. Ein frommer Jesus-Anbetungsverein im abgeschlossenen Raum ohne Weltbezug ist eben gerade nicht im Sinne Jesu! Nicht im Sinne seines Gottes, der in ihm Mensch wurde, und zwar in eben dieser Welt. Jesus bittet vielmehr darum, dass seine Anhänger vor dem Bösen bewahrt bleiben. Das Böse ist nicht nur das Brutale in Form von Gewalt und Schicksalsschlägen. Es ist auch die Mutlosigkeit, die einen dazu bringt, so vieles als unveränderbar hinzunehmen, sich lähmen zu lassen und zu resignieren. Dadurch können wir weder diese Welt noch uns selbst verbessern, wären auch die Schritte noch so klein! Weil Jesus darum weiß, wie gefährdet wir sind, den Mut zu verlieren und die Schultern hängen zu lassen, bittet er Gott darum, uns zu bewahren in seinem Namen. Und dieser Name heißt: „Ich bin der, der für euch da ist, wann, wo und wie es auch sei!“ Das ist das eigentliche Urevangelium der ganzen Bibel inmitten der Herausforderungen unseres Lebens als glaubende Christen in dieser Welt.

Michael Gmelch


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